Geh mir aus der Sonne, hätte ich um Haaresbreite laut gerufen. Meine Gereiztheit ist in letzter Zeit kaum zu ertragen. Weder für mich, noch für Andere. Zwar hat es mir noch niemand direkt gesagt, aber ich weiß es. Ich verletze meine Mitmenschen und führe mich auch im Job nicht immer förderlich auf. Also halte ich dieses Mal meine Klappe. Ich will mich ja bessern. Mit weiterhin geschlossenen Augen warte ich geduldig, bis sich der Schatten vor meinem Gesicht hinfort bewegt.
>>Ha! Dich kenne ich doch!<<, spricht mich eine Stimme aus der Vergangenheit auf Englisch an. Ich öffne meine Augen. Und plötzlich stehen sie wieder vor mir. Der alte Mönch und sein stiller Begleiter. Im ganzen Universum ausgerechnet hier.
Es muss Jahre her gewesen sein, als ich das ungleiche Duo zum ersten und bis dahin letztem Mal begegnet bin. Eine sehr prägende Begegnung wie sich damals herausstellen sollte. Seitdem ist viel passiert. Ich bin überrascht, dass sich die Beiden an mich erinnern.
>>Aber natürlich! Wir hatten eine interessante Unterhaltung.<< Die Augen des alten Mönchs funkeln. Ich frage mich, ob seiner Vorfreude auf ein weiteres Gespräch oder nur aufgrund der Erinnerung an dasjenige in der Vergangenheit. Ich hoffe auf letzterem. Mir ist nicht nach Reden zumute und so lächele ich nur freundlich zurück.
>>Etwas bedrückt wieder Deine Seele.<<,
bemerkt der alte Mönch. Sein stiller Begleiter nickt kaum merklich. Was ich noch weniger leiden kann, als mit jemanden über mein Seelenleben zu sprechen, ist, wenn es Außenstehende über mein Seelenleben tun. Genervt blicke ich in Gesichter, denen man aber nicht böse sein kann. Zwei Gesichter, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Und dennoch strahlen sie beide die gleiche, bedingungslose Güte aus, die ich aktuell nicht verdiene.
>>Wieder? Vielleicht war dieses „etwas“ nie weg gewesen.<<, antworte ich, obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich erinnere mich an viele sehr glückliche Zeiten seit unserer letzten Begegnung. Wie das Leben eben so spielt, gibt es Aufs und Abs. Ähnlich einer Kosinus-Kurve, hatte mir jemand einmal euphorisch erklärt. Aber warum muss ich ausgerechnet immer dann den alten Mönch treffen, wenn meine innere Zerrissenheit am größten ist?
>>Wir wissen beide, dass das nicht der Fall ist.<< Der alte Mönch lässt seine Aussage bei mir sacken, ohne mir Vorwürfe zu machen. Für einen kurzen Moment blickt er tief in meine Augen, als ob er in ihnen meine Seele lesen könnte. Sein gestochen scharfer Blick hat sich mit fortschreitendem Alter nicht verändert.
>>Du bist nicht wütend. Und du bist auch nicht verbittert. Nein, das ist es nicht. Es ist etwas ganz anderes. Du bist traurig!<< Ich schweige. Denn er hat Recht.
Ich weiß nämlich, was Augen alles verraten können.
Auch ich kann in den Augen Anderer wahre Aufrichtigkeit, Fürsorge und Liebe erkennen. Die Augen verraten mehr, als man selbst über sich weiß. Nur leider kann man sich selbst nicht in die Augen schauen. So bleibt einem oft das eigene Wahre verborgen.
>>Mal ist man traurig, mal glücklich. So ist das Leben.<<, versuche ich das Gespräch zu beenden. Ich bin aktuell einfach keine gute Gesellschaft.
>>Vielleicht.<< Der alte Mönch setzt sich davon unbeeindruckt neben mich auf die Parkbank. Sein stiller Gefährte bleibt stehen und strahlt ungemeine Ruhe aus. Ob er irgendwann genauso redselig wird wie sein Meister? >>Weißt du, es ist wichtig, nicht in Traurigkeit zu versinken. Tief traurig zu sein, ist wie sich auf offenem Meer über Wasser zu halten. Weißt du, was Dir bevorsteht, wenn Du zu lange allein da draußen bist?<< Eine Pause entsteht, in der mir mehr Bilder vor meinem inneren Auge erscheinen, als mir lieb sind.
>>Ich ertrinke…<<, seufze ich leise. >>Das ist nicht gut!<<, höre ich am heutigen Tag zum ersten Mal die ruhige Stimme des stillen Gefährten. >>Gar nicht gut…<<
>>Ich weiß.<< Es ist immer schwieriger etwas auszusprechen, als es in den eigenen Gedanken durchzuspielen. Erst mit der Äußerung wird es endgültig real. Worte sind mächtig. Wie mächtig sie sein können, sollte ich im Laufe des Gesprächs mit dem alten Mönch noch erfahren.
>>Machen wir einen Spaziergang.<< Mit der Hilfe seines nicht mehr ganz so stillen Begleiters richtet sich der alte Mönch auf und blickt mich an. Ein Blick so intensiv wie noch Jahre zuvor. Ein Blick voller Güte und Verständnis, der mich auffordert aufzustehen. Ich atme einmal tief durch und folge der Bitte. >>Was bedeutet Dein Name?<<, möchte der alte Mönch von mir wissen, als wir langsam den Weg entlang laufen.
>>Öffne das Glück.<< Der alte Mönch lacht sein herzliches Lachen und sieht sich in seinem Unterfangen bestätigt. >>Ich wusste, dass heute ein guter Tag wird.<<
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