Seit März 2020 haben Schulkinder und Studierende in Nepal ihre Bildungseinrichtung nicht mehr betreten. Lernen von Zuhause ist auch am Fuße des Himalaya die neue Norm geworden. Da möchte man den reichen Industrienationen in Nichts nachstehen. Online-Unterricht lässt sich doch bei uns in Nepal auch sehr leicht umsetzen, denken sich die nepalesischen Politiker. Denn alle Menschen, die sie kennen, besitzen mindestens einen Laptop, Tablet oder Smartphones von Apple und Samsung. Dass es Menschen in Nepal gibt, die kein Internet in den eigenen vier Wänden haben? Für die privilegierten Kasten in Nepal ist dies undvorstellbar!
In Entwicklungsländern wie Nepal ist Online-Unterricht ein schlechter Scherz. Mehr noch: Es ist eine Farce! Besonders jüngere Kinder in den abgelegenen Dörfern und Kinder aus ärmeren Familien in den Städten leiden vehement unter den geschlossenen Schulen.
Wie in allen Ländern der Welt fehlt den Kindern natürlich die soziale Interaktion mit gleichaltrigen Mitschülern. In Nepal, wo das schulische Lehrniveau ohnehin eher durchschnittlich ist, wirkt sich der Online-Unterricht noch viel negativer aus. Das Wissen vieler Kinder stagniert seit eineinhalb Jahren, weil sie seither gar nicht mehr am Unterreicht teilnehmen (können).
In den entlegenen Dörfern Nepals, wo Kinder auf das kostenlose Mittagessen in staatlichen Dorfschulen angewiesen sind, werden sie zudem von einer ausgewogenen Mahlzeit beraubt, die sie zu Hause nämlich nicht bekommen. Die Auswirkungen der Schulschließungen sind also nicht nur akademischer Natur, sondern haben unmittelbar Einfluss auf das physische und mentale Wohl der Kinder. Es ist völlig absurd zu glauben, dass der Online-Unterricht in Nepal den Präsenzunterricht in Schulen ersetzen kann.
Online-Unterricht ohne Internetzugang und passenden Geräten?
Während die privilegierten und wohlhabenden Menschen Nepals ihren Kindern problemlos den Online-Unterricht ermöglichen können, hat die erhebliche Mehrheit der Bevölkerung – insbesondere in den Dörfern – keinen Zugang zu Internet. Einerseits aus infrastrukturellen Gründen, andererseits aufgrund von finanziellen Engpässen.
Nepals „National Telecom Authority“ behauptet allerdings, dass 91% der nepalesischen Bevölkerung das Internet nutzt. Diese Zahl scheint meines Erachtens doch etwas weit hergeholt zu sein. Zum Vergleich: „Der Anteil der Onliner in Deutschland lag im Jahr 2020 bei 94 Prozent.“ (Quelle: Statista Research Department, 09.10.2020).
Noch immer leben etwa 80% der Nepalesen in ländlichen Regionen, teils sogar in Dörfern ganz ohne Elektrizität. Nur 5% der ländlichen Bevölkerung besitzt einen Computer oder Laptop. Aber auch in den Städten gehört der Besitz eines Laptops eher zur Ausnahme als die Regel.
Dies führt dazu, dass die meisten Kinder den Online-Unterricht auf dem Smartphone verfolgen. Obwohl Smartphones in Nepal mehr und mehr zunehmen, bedeutet dies noch lange nicht, dass jedes Kind ein eigenes besitzt. Kinder aus der unteren Mittelschicht haben kaum Zugang zu dem Gerät. In größeren Familien aus ärmeren Verhältnissen gibt es meist nur ein oder zwei Smartphones, die miteinander geteilt werden. Meist gehört das Smartphone dem Vater. Da der Unterricht für alle Kinder parallel verfolgt, bleibt für viele nichts anderes übrig, als den Unterricht ausfallen zu lassen, damit der Bruder oder die Schwester zumindest daran teilnehmen kann.
Schlechte Internetverbindungen und regelmäßige Power-Cuts (Strom-Abschaltungen) tun ihr übriges.
Der Wunsch nach Präsenzunterricht, um die eigene Familie ernähren zu können
Eltern aus der unteren Mittelschicht warten ungeduldig darauf, dass Schulen in Nepal bald wieder öffnen. Denn Home-Office gibt es für sie nicht. In den einfachen Berufen sind sie darauf angewiesen das Haus zu verlassen. Damit die Kinder nicht unbeaufsichtigt bleiben, muss meist ein Elternteil zu Hause bleiben. Allerdings reichen die Einnahmen dann nicht aus. Schule in Nepal ist also auch da, damit ärmere Familien ihre Existenz nicht verlieren.
Eine ganze Generation junger Menschen hat bislang 18 Monate Schulbildung verloren. Und weitere Monate werden noch folgen. Es ist nur schwer vorzustellen, wie dieser akademische Verlust je wieder aufgeholt werden kann. Für Nepal bedeutet dies einen erheblichen Rückschritt, der weitreichende Folgen für die akademische Zukunft vieler Menschen haben wird. Leider hat dieser Bildungsverlust sehr wahrscheinlich größere Auswirkungen auf Mädchen als auf Jungen. Und mit absoluter Sicherheit trifft dieser Bildungsverlust die ärmeren Menschen mehr als die Reichen.
Je länger die Schulen geschlossen bleiben, desto größer wird die Ungleicheit.
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