Die unvergessene Kälte von Panchthar

Veröffentlicht in: Erinnerungen, Reiseanekdote | 0

Ich habe schon sehr, sehr lange nicht mehr an jene Nächte gedacht. Vielleicht ist es die aktuelle Kälte hier in Deutschland, die diese Erinnerungen wieder in mir hervorgerufen haben. Ein plötzlicher Temperatursturz an den Gefrierpunkt im April, der nun schon eine Woche lang anhält. Wenige Tage zuvor hatte ich bei warmen Sonnenschein noch Stunden auf meinem Balkon verbracht – wie immer mit einem Buch zur Hand und Kaffee an meiner Seite. Oder vielleicht keimen all diese Erinnerungen jetzt wieder auf, weil ich aktuell aufgrund der Pandemie viel zu viel Zeit habe. Zu viel Zeit haben? Ist das überhaupt möglich? „Mit all der Zeit in der Welt können selbst die, die sich wohlhabend nennen, die Zeit nicht besitzen“, sagte einst ein Mönch zu mir. Wenn ich aber jetzt näher darüber nachdenke, vermute ich eher, dass nach über einem Jahr ohne eine Reise getätigt zu haben, mein Kopf dieses Ausbleiben damit kompensiert, mich zumindest in der Zeit zurückreisen zu lassen.

Und so finde ich mich in dem winzigen, entlegenen Dorf auf einen dieser unendlichen Hügeln Nepals wieder, das wir im Februar 2018 im Zuge einer Projektreise besucht hatten. So absolut entlegen, dass ich mir noch nicht einmal die Mühe machte, mir den Namen des Dorfes zu merken. Irgendwo im Distrikt Panchthar, ganz weit im tiefen Osten Nepals, hatten wir nach zwei unendlich langen Tagen im Jeep (Übernachtung in der Stadt Dharan) unser Ziel im Dorf erreicht. Es gab nur eine „Straße“ in dem Dorf, sowie ein paar Wellblechhäuser auf jeder Seite, keine Elektrizität und kein fließendes Wasser. Es ist ein absolut hartes Leben da draußen, fernab jeglichen Komforts.

Irgendwo im tiefen Osten Nepals.
Irgendwo im tiefen Osten Nepals.

Wellblechhäuser weit und breit.
Wellblechhäuser weit und breit.
Was ich immer wieder zu hören bekomme…

Die meisten Touristen, ignorant wie sie sind, sind der Meinung, dass ein Leben unter solch einfachen Verhältnissen „romantisch“ und ein „Segen“ für die Menschen im Dorf seien, da diese „Einfachheit“ jenen Menschen erst emögliche, „die kleinen Dinge wirklich wertzuschätzen“. Ich kann diese Ästhetisierung der Armut einfach nicht mehr hören. Natürlich finden Touristen ein Leben in solch prekären Verhältnissen schön und spannend, weil sie selbst nämlich die völlige Sicherheit haben, nach einer Woche wieder zu ihrem Luxus zurückkehren zu können…


Ich schweife ab. Tut mir leid. Wie dem auch sei, es ist die Kälte gewesen, die mich und mein Team in Panchthar überrascht hatte. Eine Kälte, die sich tief unter meiner Haut festsetzte, und mich noch immer zum Schaudern bringt, wenn ich heute an sie denke. Sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwand, verwandelte sich jeder leichte Windstoß in einen eisigen Sturm. Die dünnen Metallwände schützten uns zwar vor dem peitschenden Wind, doch ohne Isolierung, Heizkörper und Elektrizität waren die Räume so kalt und so dunkel wie verlassene Höhlen. Jacken, Mützen, Schals, Handschuhe – wir trugen einfach alles. Das Feuer, das aus dem Ofen loderte, deutete an, dass wir uns in einer Küche befanden. Doch außer der Köchin spürte niemand dessen Wärme. Wir saßen auf einer wackligen Bank am anderen Ende des Raums und umklammerten die mit heißem Tee gefüllten Metallbecher. Vor uns auf dem Tisch flackerten zwei Kerzen völlig wild, in absoluter Anerkennung den Kampf gegen die Kälte der Nacht verloren zu haben.


Ein paar Eindrücke aus dem entlegenen Dorf in Panchthar


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Namasté! Schön, dass Du meinen Nepal Blog gefunden hast. Ich heiße Khai-Thai, ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aus Vietnam, Frankfurt ist meine Heimat und Nepal mein Zuhause. Seit 2011 besuche ich das wundervolle Land für mehrere Monate im Jahr und engagiere mich für unsere Hilfsprojekte vor Ort. In diesem Nepal Blog schreibe ich über meine Eindrücke, Erfahrungen, Anekdoten und Projekte - Einfach mein-Nepal eben ;)

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