Freiwilligenarbeit in Nepal – Wenn sich der Nebel lichtet

Veröffentlicht in: Erinnerungen, Khai in Deutschland, Voluntourismus | 5

Kathmandu, Nepal // Irgendwann im Januar 2012 – Gedächtnisprotokoll

PA: Du solltest darauf aufpassen, was du sagst!
Ich: Drohen Sie mir etwa?
PA: Nein, aber bleib gefälligst von unseren Volontären und unseren Projekten fern!
Ich: Ich kann hingehen, wohin ich will und ich kann auch sprechen, mit wem ich will.
PA: Natürlich kannst du das. Aber du erzählst Lügengeschichten. Und die Gerüchte, die du…
Ich: Gerüchte?! Wie viel von unserem Geld kommt denn bei den Gastfamilien und den Projekten an?! Wie viel bekommen die Menschen, denen eure Volontäre „helfen“?!
PA: Unsere Gastfamilien und Projekteinrichtungen werden angemessen entschädigt.
Ich: Von meinen 2.100 Euro, wie viel ging unmittelbar in die Projekte? Wie viel bekam meine Gastfamilie?
PA: Wenn es so wenig ist, wie du denkst, warum beschweren sich die Leute dann nicht?!
Ich: Wie kann es sein, dass PA 2.100 Euro verlangt und andere Organisationen für den gleichen Zeitraum und dem gleichen Service nur 700 Euro? Wo geht unser Geld hin?!
PA: Als du dich bei uns angemeldet hast, hast du dich ja auch nicht über die Kosten beschwert. Niemand hat dich gezwungen den Preis zu zahlen. Du hast dich freiwillig für uns entschieden und den Preis damals akzeptiert. Also kannst du nicht sagen, dass dich PA betrogen hat!
Ich: Wow! Ist das Ihre Argumentation für die hohen Preise?!
PA: Du hast dich freiwillig für uns entschieden. Wir haben dich nicht dazu gezwungen.
Ich: Wie viel von meinem Geld hat meine Gastfamilie und mein Projekt bekommen?!

 

Frankfurt, Deutschland // 09. Juni 2011 – Rückblick

Mein Computermonitor hatte an diesem Donnerstagnachmittag eine ähnliche äußerliche Nervosität angenommen, die unmittelbar von der Person ausging, die direkt vor ihm gebannt darauf starrte. Mit jedem unkontrolliertem Auf und Ab meines nervös wackelnden Beines wankte der Bildschirm in dem entsprechenden Rhythmus. Weder den für viele außenstehende Personen wohl störenden Vibrationen noch dem einhergehenden unbarmherzigen Gequietsche meines Schreibtischstuhls, das die Musik aus dem Radio im Hintergrund bereits übertönte, schenkte ich in diesem Moment eine Beachtung. Mein Blick war streng auf dem Bildschirm fixiert. Nur noch einen Mausklick war ich von meinem bis dahin größten Abenteuer entfernt gewesen. Umso auffälliger leuchtete nun der grüne „Anmeldung abschicken“-Button auf der letzten Seite des vierseitigen Online-Anmeldeformulars und übte von dort eine mystische Anziehungskraft aus. Seit einigen Minuten bereits wanderte der Mauszeiger unentschlossen immer wieder zwischen meinen zuvor getätigten persönlichen Eingaben und dem finalen Anmelde-Button umher. Wie bei den meisten meiner teureren Einkäufe und Buchungen im Internet überkam mich auch dieses Mal eine zwanghafte Überprüfungs- und Reflektionslaune. Sind alle Angaben richtig? Brauche ich es wirklich? Und in diesem Fall: Soll ich das Abenteuer wirklich eingehen? Drei Monate in Nepal als ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem Sozialprojekt? Gibt es nicht noch andere Möglichkeiten meine Reise- und Abenteuerlust zu stillen? Bessere? Das Zögern nutze ich als dankbare Gelegenheit, um meine Gedanken ein letztes Mal zu ordnen, obwohl die Entscheidung unterbewusst schon unlängst gefallen war.

Seit sechs Wochen hatte ich bereits im regelmäßigen Kontakt mit der Organisation gestanden, auf deren Webseite ich mich nun kurz vor Abschluss meiner Buchung befand. Die Organisation – nennen wir sie aus rechtlichen Gründen der Anonymität wegen einfach mal PA, ein Akronym für den von mir erfundenen Firmennamen „Projekte im Ausland“ – hatte ich dank dessen schier perfekten Platzierungen bei Google gefunden. Der erste Besuch der Webseite war vielversprechend gewesen. Die aussagekräftigen Bilder, die unkomplizierten Texte und der intuitive Aufbau der Homepage hatten dazu beigetragen, dass ich mich immer intensiver mit den Projekten von PA beschäftigte. Auf meine aufkommenden Fragen wurde immer individuell und schnell reagiert. Dabei hatte ich im Laufe dieser Zeit so viele Fragen gestellt, dass ich mich nach einigen E-Mails bei meiner PA-Beraterin Stefanie* (*Name geändert… oder doch etwa nicht?!) mit schlechtem Gewissen sogar entschuldigte. Stefanie hatte stets viel Geduld bewiesen und meine Nachfragen professionell und charmant beantwortet. Mit jedem Tag, mit dem ich in Kontakt mit PA gestanden hatte, wurden meine anfänglichen Zweifel – größtenteils wegen der hohen Kosten – mehr und mehr bereinigt. Je öfter ich mit PA kommuniziert hatte desto mehr zog mich die Entsendeorganisation in ihren Bann. Schnell hatte ich das Gefühl bekommen, dass einzig PA meine Reise- und Abenteuerbedürfnisse hätte stillen können und dass ich gleichzeitig mit ihrer vermittelten Freiwilligenarbeit auch etwas für Menschen in Nepal bewirken würde – wie ich mich da nur täuschen konnte…

Im Nachhinein betrachtet, waren alle Anzeichen dafür schon da gewesen. Sie lagen wie winzige Elemente eines Mosaiks direkt vor mir und warteten nur darauf, dass ich den nötigen Abstand fand, um das Gesamtkunstwerk aus der Ferne zu erkennen. Bereits in den frühsten Stadien meiner Reiseplanung hatte ich die richtigen Fragen gestellt. Doch ich war nicht im Stande gewesen, die Antworten von Stefanie korrekt zu deuten. Mit dem ersten Besuch auf der Webseite von PA hatte ich mich in kürzester Zeit vom Marketing überzeugen lassen. Ausgerechnet dem Fachgebiet in den Wirtschaftswissenschaften, dem ich meine Bachelor-Arbeit noch wenige Monate zuvor gewidmet hatte. In einer geschickten Art und Weise verstand PA die Bedürfnisse und Motivationen ihrer potenziellen Kunden gezielt anzusprechen: Ferne Kulturen kennenlernen, Abenteuer erleben, Erfahrungen sammeln, Gutes tun, bedürftigen Menschen helfen, und den eigenen Lebenslauf aufbessern. Ich hätte es damals erkennen müssen. Es war so offensichtlich gewesen. Vielleicht hatte ich es nicht erkennen wollen. Vielleicht hatte ich auch einfach nicht wahrhaben wollen, dass einige Organisationen mit der unmoralischen Vermarktlichung der Freiwilligenarbeit die Armut und das Leid von Kindern in Entwicklungsländern dafür nutzen, um sich selbst zu bereichern. Hätte ich nur mit ein wenig Abstand das Mosaik betrachtet, so hätte ich verstanden, dass mein gezahltes Geld niemals bei den Menschen ankommen würde, die es am dringendsten benötigt hätten. Doch ich war zu nah dran. Stattdessen…

Mit einem heftigen Ruck bewegte ich den Mauszeiger zum „Anmeldung abschicken“-Button. Einen Klick später fiel eine zentnerschwere Last von mir. Die Anspannung löste sich. Denn es gab jetzt kein Zurück mehr. Ich brauchte mir keine Gedanken mehr zu machen, ob es die richtige Entscheidung gewesen wäre. Die Entscheidung ist nun einmal getroffen: Für 2.100 Euro durfte ich drei Monate in Nepal ehrenamtlich arbeiten – Flugpreis und Visa nicht inbegriffen. In der rechten unteren Ecke meines Bildschirms zeigte Outlook den Eingang einer neuen E-Mail an. Die Bestätigung von PA kam genauso prompt wie die Forderung nach einer Anzahlung von 300€. Damit mein Platz „gesichert“ wäre. Eine lächerliche Verdrehung der Tatsachen. Denn wie sich in den nächsten Monaten und Jahren herausstellen sollte, würde nahezu jeder Bewerber angenommen werden – egal wie viele; egal wie jung; egal wie unqualifiziert und auch egal wie drogenabhängig.

Damals ahnte ich bei weitem nicht, was ich schon bald über PA noch alles aufdecken würde. Die bewusste Einreise der Mitarbeiter unter „Studentenvisa“, Schwarzarbeit, Druckausübung auf Gastfamilien oder die Vertuschung eines Tuberkulose-Skandals in einer Schuleinrichtung könnten alles aus der Feder bekannter Thriller-Autoren entsprungen sein. Doch eines sollte ich über die Zeit hinaus niemals aufdecken können. Bis heute war ich nicht in der Lage gewesen, herauszufinden, wie viel von meinen bezahlten 2.100 Euro tatsächlich bei meiner Gastfamilie und in meinem Projekt ankam.

Ohne mir Sorgen zu machen, tippte ich die sechs Ziffern der Tan-Nummer ein und bestätigte mit großer Vorfreude die Online-Überweisung an PA. Der Anfang vom Ende…

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Seid Ihr auf der Suche nach einer verantwortungsbewussten Volunteer-Möglichkeit, bei dem Eure Hilfe nachhaltig etwas bewirkt, und bei dem Ihr nicht mehrere Tausend Euro den großen Volunteering-Organisationen in den Rachen schmeißen müsst? Meine nepalesischen Freunde haben eine einheimische, gemeinnützige Organisation, die Volunteer-Projekte vermittelt, bei denen Eure Hilfe auch tatsächlich gebraucht wird. Schaut gerne vorbei:
https://www.mein-nepal.de/freiwilligenarbeit-in-nepal/

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Namasté! Schön, dass Du meinen Nepal Blog gefunden hast. Ich heiße Khai-Thai, ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aus Vietnam, Frankfurt ist meine Heimat und Nepal mein Zuhause. Seit 2011 besuche ich das wundervolle Land für mehrere Monate im Jahr und engagiere mich für unsere Hilfsprojekte vor Ort. In diesem Nepal Blog schreibe ich über meine Eindrücke, Erfahrungen, Anekdoten und Projekte - Einfach mein-Nepal eben ;)

5 Antworten

  1. Paul UDVARI

    Hallo, Khai-Thai,

    ich mache mir Gedanken, wie ich Nepal Hilfe leisten könnte. Ich lebe in der Schweiz und in 8 Tagen fahren wir für 2 Wochen nach Nepal. Da ich früher schon – jetzt bin ich 64 jährig – 2 Hilfsorganisationen in Europa aufgebaut habe, bin ich ein wenig erfahren, was Hilfe betrifft. Mein Ziel wäre es aber, an Ort und Stelle, direkt zu helfen. Da ich 4 Berufe habe ( wie z.B. Mechaniker bzw. Dipl. Ing. für Feinwerktechnik ) könnte ich mir vorstellen, auch handwerklich tätig zu sein, oder neue Lösungen für dortige Probleme zu suchen. Hast Du da eine Idee? Wir sind gegen Ende Mai wieder in der Schweiz, vielleicht könnten wir ein Gespräch führen, um weitere Ziele zu finden.
    Mehrere „Hilfsorganisationen“ haben es auch versucht, mich zu bescheissen, aber so dumm bin ich auch wieder nicht.
    Wer weiss, vielleicht kannst Du mir Ideen geben. Mein Hilfsangebot kommt vom Herzen, weil es mir bewusst ist, dass wir daran mitschuldig sind, dass es so arme Länder gibt.

    Danke für Deine Reaktion und freundlichen Gruss aus der Schweizer Alpenregion:

    Paul U.

    • Khai-Thai

      Namaste Paul,
      vielen Dank für Deinen Kommentar.
      Ich habe Dir eine E-Mail geschrieben und auf Deine Anfrage geantwortet. Vielleicht können wir ja zukünftig zusammenarbeiten. Ich würde mich freuen.
      Herzlichen Gruß
      Khai-Thai

  2. Stephanie

    Namaste Kai,
    mit Herzklopfen habe ich heute Deinen Beitrag über die Freiwilligenprojekte gelesen.
    Nein, gewundert habe ich mich nicht, denn ich habe mir selber diese Fragen gestellt und dann Abstand davon genommen.
    Es kann nicht sein, dass man für freiwillige Hilfe mehr zahlen muss, als für einen Urlaub.
    Vermutlich ist es sinnvoller, auf eigene Faust (als Tourist) ins Land zu reisen und vor Ort zu schauen, wo man helfen kann.
    Solchen Organisationen werde ich kein Geld in den Rachen werfen.

    Wenn es Dich interessiert, schreibe ich Dir, was wir machen werden.
    Liebe Grüße
    Stephanie

    • Khai-Thai

      Namaste Stephanie,
      leider nehmen nicht viele Menschen diesen Abstand. So kommt es, dass vor allem sehr junge Menschen mit solchen Organisationen in das Land reisen und tatsächlich glauben mit ihrem Engagement zu „helfen“. Man kann tatsächlich mit dem Geld viel mehr erreichen, wenn man es Hilfsorganisationen in die Hand drückt. Aber das ist ja das Problem des Voluntourismus. Es geht den meisten Volontären doch gar nicht um die Leistung von Hilfe. Im Vordergrund steht Ihre Reise und das Abenteuer….. Die geleistete Hilfe ist ein toller Nebeneffekt für den Lebenslauf….

      Klar interessiert es mich, was Du vor hast. Kannst mir gerne eine E-Mail schreiben 🙂
      Lieben Gruß
      Khai

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