Handy verloren | Teil 1: „Ihr seid die Polizei, nicht ich!“

Veröffentlicht in: Geschichten aus Nepal | 0

„Nach 2 Uhr morgens passiert nichts gutes“, hab ich mal aus der TV-Serie „How I met your mother“ gelernt. Leider musste ich diese Weisheit während meiner 15. Nepal-Reise am eigenen Leib erfahren. Ob es nun an der fortgeschrittenen Uhrzeit oder – ähm naja – an meinem erhöhten Alkoholpegel lag, tut hierbei nichts zur Sache 😉 Fakt ist, ich habe mein Handy in Nepal verloren.

Und nein, ich habe natürlich nicht mein nepalesisches, sondern mein kostbares „deutsches“ Telefon verloren! Der alte Nokia-„Ziegelstein“ ist hingegen einfach unsterblich und seit jeher mein treuester Weggefährte. Unzählige, harte Bodenbegegnungen und selbst das Eintauchen in die Toilette, hast du überlebt. Ich habe dich nicht immer gut behandelt, aber du hast immer weiter zu mir gestanden. Keine meiner Beziehungen hielt länger – traurig auf so vielen verschiedenen Ebenen 😀 Ich habe dich schon 5 ganze Male verloren, aber immer wieder fandest du den Weg zu mir zurück.

Seit 2011 ständiger Begleiter auf meinen Nepal Reisen….

Anders als mein schönes Smartphone. Einmal aus den Augen verloren und für immer weg. „Aus den Augen verloren“ ist vielleicht in meinem Fall nicht ganz korrekt… Das Wort „verloren“ kann ich eigentlich auch nicht vewenden… Ich habe mein Smartphone nämlich einfach so auf der Rückbank im Taxi liegengelassen. Wie denn das passieren konnte?! Nun ja, ich schiebe es allein auf die Uhrzeit 😉


„Du musst es wenigstens versuchen zu finden!“

Als ich in besagter Nacht um halb drei den Verlust meines Handys feststellte, rannte ich direkt von unserem Haus zur Stelle, wo uns das Taxi hinaus gelassen hatte. Ich rief unzählige Male meine deutsche Nummer an – vergeblich. Warum habe ich mein Telefon nur auf lautlos gestellt?!

Eine Stunde verbrachte ich erfolglos in der kleinen, unbefahrenen Straße. Gemeinsam mit den Straßenhunden starrte ich in die Stille der Nacht hinein. Ich hatte mich damit abgefunden. Let it be. Mein Handy war weg. Ich schlenderte wieder zurück zum Haus, sprang über die Mauer (das Tor war schon längst abgeschlossen gewesen) und erlitt einen halben Herzinfarkt, als ich die älteste Nachbarin im Haus beim Waschen im Freien erwischte. Am nächsten Morgen fragte jene Dame meine Freunde, was der „fette, weiße Tourist“ um diese Zeit draußen noch gemacht hatte. „Fett“, „Weiß“ oder „Tourist“ – ich kann gar nicht sagen, was verletzender ist.

Nach drei kurzen Stunden Schlaf versuchte ich am Morgen noch einmal mein Telefon zu erreichen. Doch der Akku musste wohl seinen Geist aufgegeben haben. Eine Eigenschaft, die mein altes Nokia nur vom Hörensagen kennt.

Mein körperlicher Akku lief auf Sparflamme. Müdigkeit überwog Enttäuschung. Keine Motivation weiter nach meinem Smartphone zu suchen. Sämtliche Kontakte und Bilder waren zwar weg, aber irgendwie gefiel mir dieser Neustart. Der Verlust nagte nicht an mir. Und so genoss ich – so sehr man das mit einem Kater eben konnte – den Morgen und war recht entspannt.

Ob Buddha’s Augen mein Smartphone gesichtet haben?

Zu entspannt für meine Freunde. Eher depressiv dachten sie. Neben den Aufmunterungen kamen nun auch immer mehr motivierende Ansprachen. Wie oft schon verlorene Gegenstände wiedergefunden seien. Ich sollte es doch wenigstens versuchen, positiv denken und daran glauben. Ich glaubte, ich hörte nicht richtig. Aber je mehr meine Freunde sprachen, desto mehr stiegen meine Hoffnungen. Ein fataler Fehler…


13.32h – Polizeirevier Boudha: „Geht zur Touristen-Polizei. Die arbeitet schneller“

Zur Mittagszeit war ich sogar wieder so guter Dinge, dass ich mich kurzerhand dazu entschloss zur Polizei zu gehen. Begleitet wurde ich von unserem Nachbarn Sujan, ein College Student und gleichzeitig Enkel der alten Dame, die mich als „fetten, weißen Touristen“ beschimpft hatte. Tut mir leid, ich komm darauf einfach nicht klar…

Unser erstes Ziel war die nächstgelegene Polizeistation. Nur etwa 10 Minuten Fußweg von unserem Haus steht nämlich das große Polizeirevier von Boudha. Noch bevor wir „Namaskar“ sagen konnte, winkte uns der Polizist am Eingangstor gelangweilt durch. Ab diesem Zeitpunkt sollte fortan nichts mehr so einfach laufen. An der Rezeption hörte sich ein anderer Polizist unser Anliegen an. Sujan sprach für mich. Ich versuchte derweil, wichtig für uns beide auszusehen. Der Polizist schenkte meiner Wichtigkeit keinerlei Beachtung. Ein anderer Polizist unterstrich seine Wichtigkeit dadurch, dass er mich darauf anwies, vorsichtig zu sein und nicht durch die angefangene Bodenmalerei für das anstehende Tihar-Fest zu stampfen. Ich stand 2m davon entfernt…

Während des fünftägigen Lichterfests Tihar schmücken solche bunten Malereien viele Hauseingänge.

Der Polizist an der Rezeption hörte Sujans kurze Ausführung an. Als er aber dann verstand, dass es sich bei dem Verlust um mein Telefon handelte und nicht um das von Sujan, ging sein ganzer Enthusiasmus verloren. Wir müssten nach Boudhanath Stupa laufen und dort die Touristen-Polizei aufsuchen. Die Frage, ob wir denn auch hier eine Anzeige aufgeben konnten, verneinte der Polizist vehement. Würden wir hier eine Anzeige aufgeben, wäre die Bearbeitungszeit wesentlich länger. Außerdem würde die Touristen-Polizei die Anzeige ohnehin an die Polizeistationen weitergeben. Die Touristen-Polizei arbeite viel schneller und besser, wurde uns gesagt.

Wie so vieles andere in Nepal hinterfragte ich auch das Polizeisystem nicht. Let it be


14:07h – Touristen-Polizeistation Boudha: „Was sollen wir bloß tun??“

Sujan und ich liefen zu Boudhanath Stupa. Begleitet von Abgasen und Feinstaub, versuchten wir die kleine Touristen-Polizeistation zu finden. Kein Schild am Haus. Kein Schild vor dem Haus. Nur ein großes Schild im engen, dunklen Hauseingang: „Kostenfreie Toiletten. Nur für Touristen. (Und im Kleingedruckten) Tourist-Police Boudhanath“.

Die schmale Treppe führte Sujan und mich ins erste Obergeschoss, wo wir von zwei Polizisten sehr herzlich begrüßt wurden. Womöglich waren wir die ersten Gäste des heutigen Tages gewesen.

Ich begann mein Anliegen zu schildern. Kurz und schmerzlos: „Vor 12 Stunden habe ich mein Handy im Taxi verloren.“ Die Polizistin fragte nach der Uhrzeit. Es dauerte ungelogen etwa 10 Minuten bis die beiden Beamten verstanden, dass ich mein Telefon in der heutigen Nacht (bzw. super frühen Morgenstunden) verloren habe. Dann fragten sie mich detailliert aus. Wo ich unterwegs gewesen war. Was ich so spät noch gemacht habe. Mit wem ich unterwegs gewesen war. Ob ich Drogen genommen hätte…

Staubsauger
Irgendwo hier ist die Touristen-Polizei….

In meiner charmanten Art und Weise erzählte ich fröhlich drauf los. Anschließend wollte die Polizistin dass ich meine ganze Geschichte noch einmal so detailliert wie möglich aufschrieb. Pragmatisch formulierte ich zwei Sätze: „Am 26.10.2019 habe ich um etwa 2h bis 2.30h (nachts!!!) mein Smartphone im Taxi verloren. Ich war von Lazimpath nach Chabahil unterwegs gewesen.“

Die Polizistin erklärte mir, dass sie zuerst „alles“ abtippen und dann an die Zentrale schicken müsse. Erst dann werden alle weiteren Polizeistationen informiert. Ich konnte nicht zulassen, dass mein Anliegen in der nepalesischen Bürokratie unterging. So wurde ich dramatisch und erzählte von „Studien“, die besagten, dass die Wahrscheinlichkeit „Verbrechen“ aufzuklären, mit jeder weiteren Stunde sinkt. Sie glaubten meinen Worten mehr als ich selbst das tat. Was nun bloß zu tun sei, fragten sie mich. Nun ja, ihr seid die Polizei, nicht ich…


14:33 – Touristen-Polizeistation Boudha: „Sind Sie etwa auch Polizist?“

Die beiden Polizisten überlegten, wie sie mir helfen konnten. Ich wollte als Ausländer ja nicht deren Job wegnehmen, aber manchmal muss man seine Prinzipien eben außer Acht lassen. Ganz Kathmandu ist mit Überwachungskameras – sogenannten CCTV-Kameras – ausgestattet. Da um 2h morgens der Verkehr eher überschaubar ist, würde es eine Leichtigkeit sein, auf den Überwachungsvideos mein Taxi ausfindig zu machen. Und da jedes Taxi in der Taxi-Zentrale registriert ist, könnten wir mit dem Nummernschild auch problemlos den Fahrer kontaktieren.

Die Polizisten waren begeistert. Allerdings sei das „CCTV-Büro“ am Samstag nur bis 15h für „Besucher“ geöffnet. Ich sollte es doch morgen dort probieren. Protestierend fing ich wieder an von meinen „wissenschaftlichen Studien“ zu erzählen.

Daraufhin riefen die Polizisten ihren Vorgesetzten an. Das Telefonat begann zunächst auf Nepalesisch, ehe am anderen Ende der Chef fragte, wieso seine Gesprächspartnerin mit ihm nicht Englisch spreche. Sie sei doch von der Touristen-Polizei. Und so plauderte sie nun im gebrochenen Englisch mit ihrem Chef zunächst über Gott und die Welt. Provokant schaute ich auf die Uhr. Der Minutenzeiger drehte unentwegt seine Runden.

Tagsüber wäre eine Taxi-Suche fast unmöglich…

Irgendwann – nach der ganzen Geschichte ihrer Versetzung und ihren Plänen für das anstehende Tihar Festival – hatte sie Erbarmen und fing an von meinem Problem zu reden. Die englische Sprache erschwerte ihr die Erläuterungen, sodass ich anbot selbst mit ihrem Vorgesetzten zu sprechen. Doch sie winkte stets ab. Weitere lange Minuten verstrichen. Am Ende ihrer wilden Erzählung gab sie mir den Hörer in die Hand. Ich erzählte die ganze Geschichte noch einmal und dann auch von meinem grandiosen Plan.

„Sind Sie etwa auch Polizist?!“, fragte mich der Vorgesetzte begeistert. Er würde ein paar Telefonate führen und mir garantieren, dass ich heute noch die Überwachungsvideos ansehen könnte. Ich sollte jetzt einfach direkt zum Tourist Police Hauptquartier fahren.


15:37h – Tourist Police Hauptquartier: „Ihr seht jetzt aus wie zwei Verbrecher“

Mit großer Erleichterung und noch mehr Hoffnung stiegen Sujan und ich ins nächste Taxi und fuhren zum Hauptquartier der Touristen-Polizei. Das Tourist Police Hauptquartier liegt übrigens im selben Gebäudekomplex, in dem man seine Trekking-Permits bekommt.

Wir betraten das kleine Hauptquartier und wurden am Schalter von drei Polizisten in Uniform begrüßt. Sie wurden bereits informiert und würden mir mit allen zu verfügbaren Mitteln zur Seite stehen. Etwas übertrieben fand ich das schon. Aber falls ich mal einen Hubschrauber benötigen würde, wüsste ich ja jetzt, wo ich ihn herbekomme.

Der dienstälteste Polizist erklärte sich bereit uns zur Metropolitan Police zu begleiten. Dort liegt das Herzstück eines jeden Überwachungsstaates: Die CCTV-Zentrale. Um zur großen Metropolitan Police Station zu gelangen, benötigten wir natürlich ein Fahrzeug. Und was bietet sich da mehr an als ein Gefangenentransporter? Richtig, jeder andere fahrbare Untersatz… Aber nein, die Polizisten entschieden sich für den Gefangenentransporter.

So stiegen Sujan und ich in das gepanzerte Fahrzeug mit den großen Scheiben, damit man uns von Außen auch gut sehen kann. Es ging einmal quer durch die Stadt. „Von draußen seht ihr aus wie zwei Verbrecher“, riefen uns die Polizisten von vorne zu. Ich winkte fröhlich den starrenden Menschen auf der Straße zu.


16:03h – Metropolitan Police – CCTV-Büro: „Dherai Bato“

Die CCTV-Zentrale war ein riesiger Raum mit langen Tischreihen, auf denen unzählige Monitore Echtzeit-Bilder der ganzen Stadt zeigten. Vor den Bildschirmen saßen nur wenige konzentrierte Mitarbeiter. Der Rest saß in verschiedenen Grüppchen zusammen, lachte, plauderte und aß die bekannten nepalesischen Straßensnacks. Sie schenkten unserer Anwesenheit keinerlei Beachtung.

Bei der zuständigen Polizistin für das Viertel Chabahil bat ich darum, die Videos von der Hauptkreuzung sehen zu dürfen. Sie suchte die passende Kamera aus und war dennoch mit dem Kamerawinkel nicht zufrieden. Minutenlang suchte sie weiter nach anderen Kameras. Natürlich erfolglos.

Ganz Kathmandu ist mit ähnlichen Kameras ausgestattet!

Anstatt nun einfach das Video der ersten Kamera anzuschauen, fragte sie einen Kollegen nach einem besseren Kamerawinkel. Er wählte eine deutlich ungünstigerer Perspektive. Nach einer halben Stunde wurde es mir doch zu blöd. Ich wollte selbst an den Computer. Sie diskutierten eine Weile und willigten dann ein. Ich ging wieder zum ersten PC. Die zuständige Polizistin nahm dies zum Anlass, um wieder mit ihren Freundinnen weiter zu tratschen.

Die Bilder der ersten Kamera offenbarten mir, dass um 2h morgens immer noch recht viel Betrieb auf den Straßen herrschte. Es fuhren einige Taxis vorbei. Unmöglich das richtige ausfindig zu machen. Ich wechselte auf eine Kamera, die mehr auf die Hauptstraße gerichtet war. Da unser Taxi nicht die Hauptstraße enlang fuhr, sondern rechts in eine kleine Seitenstraße abbog, könnte ich so eventuell das richtige Taxi herausfiltern. Mittlerweile stand eine große Gruppe Polizisten hinter mir und beobachtete gespannt meine Ermittlungen.

Aufgrund des Gegenlichts vom Gegenverkehr war allerdings nicht viel zu erkennen. Die Kamera war auch viel zu weit weg, um Nummernschilder überhaupt ablesen zu können. So war ich bei drei, vier Fahrzeugen unsicher, ob sie die Einfahrt genommen hatten oder nicht. Daher schnappte ich mir Stift und Papier und notierte mir die exakten Uhrzeiten, um sie mit einer anderen Kamera vergleichen zu können. Mein Publikum war begeistert: „Dherai bato“, was so viel bedeutet wie „sehr clever“.


16:56h – Metropolitan Police – CCTV-Büro: Ich gebe auf!

Ich wechselte die Kamera und verglich die Uhrzeiten mit denen, die ich soeben notiert hatte. Leider erfolglos. Denn obwohl mir versichert wurde, dass alle Uhrzeiten synchronisiert waren, konnte ich die notierten Fahrzeuge auf den anderen Kameras nicht erfassen. Die Polizisten konnten sich das alles nicht erklären. Meine Frustration war mittlerweile auch schon so hoch, dass ich keine Lust hatte, ihnen zu erklären, dass die einzige Erklärung dafür war, dass die Uhrzeiten doch nicht synchron waren.

Ich gab auf, bedankte mich für die großartige Unterstützung und verabschiedete mich mit gesenktem Haupt. Erschöpft, genervt und enttäuscht – was für ein Tag…

Sujan und ich nahmen ein Taxi zurück nach Hause. Während der Fahrt erklärte mir Sujan, dass ich nicht aufgeben sollte. Am Gemeinde-Tempel in der Nähe unserer Unterkunft gibt es auch Überwachungskameras. Sujan und seine Großfamilie sind dort Mitglieder, sodass wir uns problemlos die Überwachungsvideos anschauen könnten. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Wut komplett auszurasten. Das Taxi, in dem ich mein Handy vergessen hatte, hielt 10m nach dem Tempel. Warum haben wir uns nicht gleich dort die Bilder angeschaut?!?!


Fortsetzung folgt….
In Teil 2: Ich bin der Auslöser für einen Kleinkrieg in unserer Nachbarschaft xD


Blog via E-Mail abonnieren

Gib deine E-Mail-Adresse an, um diesen Blog zu abonnieren und Benachrichtigungen über neue Beiträge via E-Mail zu erhalten.

Folge uns Khai-Thai:

Namasté! Schön, dass Du meinen Nepal Blog gefunden hast. Ich heiße Khai-Thai, ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aus Vietnam, Frankfurt ist meine Heimat und Nepal mein Zuhause. Seit 2011 besuche ich das wundervolle Land für mehrere Monate im Jahr und engagiere mich für unsere Hilfsprojekte vor Ort. In diesem Nepal Blog schreibe ich über meine Eindrücke, Erfahrungen, Anekdoten und Projekte - Einfach mein-Nepal eben ;)

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.