Als in Nepal die Erde bebte….

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Mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala erschütterte ein schweres Erdbeben Nepal am 25.4.2015
Mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala erschütterte ein schweres Erdbeben das kleine Land Nepal am 25. April 2015 (Foto: Khai-Thai Duong / mein-Nepal.de)

Am Samstag, den 25.04.2015, um genau 11:56h Ortszeit erschütterte der nepalesische Boden mit einer solchen Wucht, die böse Erinnerungen an das schwerste in Nepal verzeichnete Erdbeben aus den 1930er Jahren weckte. Nicht nur die enorme Wucht, sondern vielmehr die Dauer des Bebens sowie die anschließend stundenlang andauernden Nachbeben stürzten den kleinen Staat am Fuße des Himalaya ins Chaos. Im Epizentrum rund um Ghorka, das knapp 80km nordwestlich von Kathmandu liegt, erreichte das Beben eine Stärke von 7,8 auf der Richterskala. 90% der Häuser im abgelegenen Ghorka sollten bis zum nächsten Tag Opfer der verheerenden Naturkatastrophe werden. Selbst im Kathmandu-Tal – wobei die Hauptstadt vergleichsweise glimpflich davon kam – stürzten komplette Wohnkomplexe ein. Die Bilder des zerstörten Durbar Squares gingen schnell um die Welt und zeigten einmal mehr, wie wenig der Mensch gegen die Natur aussetzen kann.

Eine Woche nach der Katastrophe bebt die Erde immer noch gelegentlich weiter. Der ungewöhnlich kühle April mit enormen Mengen an Regen erschwert nicht nur die Bergungsarbeiten, sondern macht es auch für die betroffenen Menschen schwieriger, die Nächte auf freien Plätzen zu verbringen.
So langsam kehrt aber eine gewisse Normalität wieder in das Leben der Hauptstadt. Strom sowie Telefon- und Internetverbindung waren zwei Tage nach dem großen Beben wieder verfügbar. Die Straßen füllten sich mehr und mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, während vermehrt die kleinen Läden wieder öffneten. Die Anzahl der Menschen, die ihre Nächte im Freien verbracht hatten, nimmt stetig ab. Dennoch steht Nepal noch ein langer Weg bevor….

Und wo war ich am Samstag?

Gemeinsam mit meinen Freunden und hamromaya Mitgliedern, Julian und Ivan, sowie einem befreundeten Hobby-Fotografen gingen wir in das Waisenhaus Buddhist Child Home, welches von unserem Verein tatkräftig unterstützt wird. Da dies mein letzter Samstag vor meiner geplanten Rückreise nach Deutschland gewesen war, wollten wir weitere Motive und Interviews für die EthikBank-Kampagne „Kinder fairdienen faire Chancen“ erarbeiten.

Gegen 11:30h erreichten wir das Waisenhaus und bereiteten in Ruhe das Fotoshooting vor. Fast alle Kinder befanden sich zu diesem Zeitpunkt im ersten Stock des Hauses und schauten gemeinsam Fernsehen. Nachdem wir mit unseren Vorbereitungen fertig gewesen waren, suchten wir nach Kindern, die Interesse hatten als Motive zu fungieren. Julian und ich betraten den Fernseh-Raum. Doch wir hatten einige Schwierigkeiten, die Blicke der Kinder vom TV zu lösen. Als ich den Raum verließ, ging urplötzlich der Fernseher aus. „Bhatti Gayo“ („Der Strom ist weg“), hörte ich die Kinder rufen – ein ganz normales Szenario in Nepal, da Elektrizität nach einem Stromplan rationiert wird. Doch keine Sekunde nach dem Stromausfall spürte ich aus dem Nichts einen kräftigen Ruck. Ich wusste nicht so wirklich, was mich traf…vermutete, dass im oberen Stockwerk etwas schweres umgefallen sei… Doch aus dem plötzlichen Ruck wurde schnell ein heftiges Schütteln. Die Kinder fingen an zu schreien. Ich dachte, dass das Haus einstürzen würde. Kinder rannten aus dem Fernsehraum heraus an mir vorbei und daraufhin die Treppen hinunter. Ich rief in den Fernsehraum hinein, forderte alle raus zu rennen. Julian sprang mit ein paar Kindern aus dem Raum hervor. Das Beben wurde immer stärker. Es war unheimlich schwierig, sich auf den Beinen zu halten. Als wir die Treppen herunter gerannt sind, wurden wir von der Wucht des Bebens so überrascht, dass wir von der einen Seite der Treppe (Wand) zur anderen Seite (Treppengeländer) geschleudert wurden – blaue Flecken inklusive. Mit Blick nach oben entfernten wir uns schnellen Schrittes vom unmittelbaren Gelände des Hauses. Julian, Ivan und unser Fotograf geleiteten die Kinder im Eiltempo ins freie Feld – ein Glück, dass wir uns am äußersten Stadtrand Kathmandus befanden….

Ich blieb am Tor stehen und rief paralysierte Kinder dazu auf, das Gebäude zu verlassen. Das Beben ließ kurz nach. Vor allem die Mädchen und die Kleinkinder ließen sich vom Adrenalin lähmen. Sumee klammerte sich im ersten Stock fest an eine Säule des Hauses. Ich rannte hoch zu ihr und schickte sie hinunter. Danach ging ich durch die Räume und begleitete die restlichen Kinder herunter ins Freie, als urplötzlich die Erde wieder anfing zu beben. Dieses Mal nicht mehr so stark wie beim ersten Beben, doch immer noch so stark, dass sich ganze Häuser bewegten. Immer mehr Menschen fanden sich im offenen Feld wieder. Jedes Beben wurde mit einem lauten Aufschrei begleitet.

Menschen rannten aus ihren Häusern und versammelten sich auf einem großen freien Feld.
Menschen verließen ihre Häuser und versammelten sich auf einem freien Feld. (Foto: Khai-Thai Duong / mein-Nepal.de)

Die ersten Stunden nach dem Erdbeben

Die Menschenmasse war in der ersten Stunde sehr nervös. Viele Kinder zitterten vor Angst und Kälte. Das Wetter passte zum Katastrophenszenario. Es war bewölkt, zum Teil nieselte es für wenige Minuten leicht. In all der Hektik hatten die Kinder nur das nötigste an. Doch zurück ins Haus zu gehen, um Decken oder dergleichen zu holen, war in der ersten Stunde viel zu riskant gewesen. Der kleine Shiva war sogar so verängstigt gewesen, dass er sich in Ivans Armen übergeben hatte. Ungläubigkeit und Sprachlosigkeit begleiteten die erste Stunde – und das ständige heftige Nachbeben….
Ich zückte mein Telefon und versicherte mich, dass es meinen vielen Freunden gut ging. Es war schwierig überhaupt durchzukommen…

Der 60m Besichtigungsturm Dharahara im Zentrum Kathmandus ist vollkommen zerstört.
Der 60m Besichtigungsturm Dharahara im Zentrum Kathmandus ist zerstört. (Foto: Khai-Thai Duong / mein-Nepal.de)

Als sich die Lage etwas beruhigte, wurden Decken, Bekleidung, Nahrung und Radios aus den Häusern geholt. Zu diesem Zeitpunkt wusste keiner von uns, wie zerstörerisch das Erdbeben doch gewesen war. Mit den ersten Worten der Eilmeldung stockte uns der Atem… abgesehen von den berühmten Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum soll auch der weiße gut 60m hohe Besichtigungsturm (Dharahara) zusammengestürzt sein. Gänsehaut und kalter Schweiß durchlief meinen Körper, war ich doch keinen Monat zuvor ebenfalls auf diesem von Einheimischen sehr beliebten Turm gewesen. Ich wusste sofort, dass es für die Menschen im Turm keine Überlebenschancen gab.
Eine bestörende Nachricht folgte die nächste im Minutentakt. Ein 7-Stöckiges Wohngebäude im Stadtteil Kopan sei eingestürzt. Nun kannten wir das Ausmaß der Katastrophe, konnten es aber nicht wirklich begreifen, weil die vielen hohen Häuser rund um das freie Feld, in dem wir uns befanden, noch intakt waren. Immer wieder machten panische Nachrichten die Runde, dass ein weiteres starkes Erdbeben in den nächsten Stunden erwartet werde – immer mehr Panik begannen sogenannte „Experten“ in den Medien zu schüren – völlig unbegründet, wie sich in den nächsten Stunden und Tagen herausstellen sollte…

Eingestürzte Häuserwand in der Nähe des Waisenhauses.
Eingestürzte Häuserwand in der Nähe des Waisenhauses, wo wir uns befanden. (Foto: Khai-Thai Duong / mein-Nepal.de)

Mit Tess, einer Volontärin und Freundin aus Australien, machte ich mich auf dem Weg zur Hauptstraße und konnte nur eine einzelne eingestürzte Häuserwand erblicken. Ich sah keine Verletzen – geschweige denn Tote… Wir liefen weiter die Hauptstraße entlang ohne größere Schäden zu sehen. So gingen wir wieder zurück zu den Kindern und versicherten ihnen, dass die hiesige Situation nicht annähernd so dramatisch sei, wie die im Stadtzentrum. Auf dem freien Feld versammelten sich immer mehr Menschen. Allen ist nun bewusst geworden, dass gerade wegen der noch immer anhaltenden Nachbeben, sie die Nacht hier im Freien verbringen mussten. Es wurde sich immer mehr ausgestattet. Gaskocher, Geschirr, Essen und noch mehr Decken…

Am späten Nachmittag verabschiedeten wir uns von den Kindern und traten unseren Heimweg an. Da kaum Verkehr mehr auf den Straßen herrschte, waren wir gezwungen, nach Hause zu laufen. Auf dem knapp einstündigen Nachhauseweg stellten wir an der Hauptstraße nur vereinzelte minimale Häuserschäden fest. In den hinteren Gassen, in denen wir auch durchliefen, um den Fußweg zu verkürzen, war nur eine größere Zerstörung zu sehen. Das oberste Geschoss eines sehr noblen Anwesens ist halb eingestürzt. Mit Ivan machte ich danach noch einen riesigen Spaziergang durch unser Viertel. Von der in den (internationalen und nationalen) Medien verbreiteten kompletten Zerstörung der Hauptstadt war NICHTS zu sehen!

Wie die meisten Nepalesen verbrachten auch wir die Nacht im Freien.
Wie die meisten Nepalesen verbrachten auch wir die Nacht im Freien. (Foto: Khai-Thai Duong / mein-Nepal.de)

Als wir erschöpft im Hostel ankamen, ließen die vielen Nachbeben bereits nach. Aus Angst vor weiteren Nachbeben wurde ganz Kathmandu vom Stromnetz getrennt. Wir entschieden uns daher – wie fast alle Einheimischen auch – die Nacht im Freien zu verbringen. Die Entscheidung wurde kurzerhand von einem heftigen Nachbeben bestätigt. Auf dem großen freien Feld neben dem Gelände des HYATT-Hotels ließen wir uns gemeinsam mit Hunderten von anderen Menschen nieder. Es war klar zu erkennen, dass der Großteil der Menschen auf dieses Ereignis nicht vorbereitet gewesen waren – so auch wir. Die meisten nahmen sich nur Decken und Kissen mit. Vereinzelt waren Zelte zu sehen. Der Rest schlief komplett im Freien, was natürlich nicht schlimm gewesen wäre, wenn der April – normalerweise der wärmste Monat Nepals – mitgespielt hätte. Die Nacht war kalt und gegen 1h fing es dann auch noch zu regnen an!
Wir packten daraufhin wieder unsere Sachen und liefen zurück ins Hostel, wo wir den Rest der Nacht im ersten Stock verbrachten. Ich schlief sogar so fest in meinem Bett, dass ich von den zahlreichen nächtlichen Nachbeben nur eines um knapp 5h morgens mitbekommen habe, welches mich nicht nur aus meinem Schlaf riss, sondern auch fast aus dem Bett warf. Schlafen war danach nicht mehr möglich gewesen….

Folge uns Khai-Thai:

Namasté! Schön, dass Du meinen Nepal Blog gefunden hast. Ich heiße Khai-Thai, ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aus Vietnam, Frankfurt ist meine Heimat und Nepal mein Zuhause. Seit 2011 besuche ich das wundervolle Land für mehrere Monate im Jahr und engagiere mich für unsere Hilfsprojekte vor Ort. In diesem Nepal Blog schreibe ich über meine Eindrücke, Erfahrungen, Anekdoten und Projekte - Einfach mein-Nepal eben ;)

12 Antworten

  1. Snowland

    Ja! Ich denke auch, dass Nepal aus dieser Katastrophe gestärkt hervorgehen wird! Ich bin auch sehr zufrieden (und überrascht) mit welcher Geschwindigkeit sich in KTM eingesetzt wurde. ALs ich am Sonntag zum Durbar Square lief, waren bereits der ganze Schutt zu diversen Haufen geräumt, sodass Menschen keine 24 Stunden nach dem Hauptbeben wieder frei passieren konnten.
    Leider ist die Infrastruktur in den ländlichen Gebieten so schlecht, dass Hilfe nicht schnell genug ankommt…
    Kann es kaum erwarten, wieder dort zu sein!
    Bis bald wieder in Nepal 🙂

  2. Snowland

    Hallo Ecki,

    es ist in der Tat erschreckend, mit welcher Zerstörungskraft die Natur zuschlagen kann. Glücklicherweise ist Kathmandu mit seinen relativ stabilen Häusern kaum von der Zerstörung betroffen – natürlich relativ gesehen von der Bebauungs- und Bevölkerungsdichte der Stadt und natürlich im Vergleich auch zur ländlichen Umgebung.

    Ich habe vor ein paar Tagen Informationen bekommen, die noch immer Nachbeben schildern. Hoffentlich kommt Nepal bald zur Ruhe. Dann wird es auch einfacher sein, in die entlegenen Regionen einzudringen.

    Ich glaube, dass die „größeren“ Organisationen wie Aktion Deutschland hilft; Ein Herz für Kinder; CARE; UNICEF; Save the children; Welthungerhilfe etc. in der aktuellen Lage mehr in der Lage sind zu helfen, weil sie Expertise und genügend Mitarbeiter haben, die mit einen solchem Szenario besser umgehen können.

    LG Khai

  3. Snowland

    Hallo Karen,
    ich bin schon seit dem 30.4. wieder zurück in Deutschland.
    Wurde aber nicht wie die meisten panischen Touristen ausgeflogen. Das war mein regulärer Abreisetermin.
    LG Khai

  4. Basundhara

    Khai dem ist nichts weiter zu zufügen. Es war und ist eine schwere Zeit. Aber wieder einmal wurde ich, trotz einer solchen Extrem Situatin, von Nepal überrascht im positiven Sinne. Solidarität unter einander plus das Wirken von Army und Police, die nach einer anfänglichen Schockstarre (was aber normal sein sollte) machen mir große Hoffnung. Erschreckend dafür die Berichterstattung in Deutschland. 2 Stunden nach Einsetzen des Hauptbebens hatte ich Mails von diversen deutschen Agenturen bezüglich einer Live bericht Erstattung. davon mal abgesehen, dass ich 2 Stunden danach andere Dinge im Kopf hatte, hätte man sich doch vielleicht denken können, dass Internet usw. nicht richtig funktioniert?
    Das nächste mal sehen wir uns wieder in Nepal, wo fast alles wieder neu aufgebaut sein wird und die Menschen großes geleistet haben. Eine kleine Chance eines Neuanfangs in Bezug der Politik gäbe es eventuell auch, Berichten von Freunden zu Folge scheint es bei einigen etwas zu brodeln, man lässt sich nicht mehr alles gefallen und fragt gezielt nach wo die ganzen Millionen Hilfe aus aller Welt stecken.
    Respekt Nepal!

  5. Snowland

    Hallo Ivo,
    danke für Deinen Kommentar!
    Ich glaube, dass es gerade zu Beginn einer Katastrophe wichtig ist, seine Spenden größeren Organisationen zukommen zu lassen, weil sie über die größte Erfahrung und Expertise verfügen, um mit einer solchen Extremsituation umzugehen.
    Red Cross zählt sicherlich zu einer dieser Organisationen, denen man seine Spende anvertrauen kann!
    LG Khai

  6. Snowland

    Hallo Karen, vielen Dank! Freut mich, dass Dir mein Bericht vom Erdbeben gefallen hat. Hoffentlich gibt es bald mehr positive Nachrichten aus Nepal…

    LG Khai

  7. eckisupdate

    Hallo Khai,

    Vielen Dank für deinen Bericht.
    Ich glaube, dass du mit deinen Freunden und Kindern noch viel Glück im Unglück hattest.
    So viele Tote und verletzte Menschen, so viele zerstörte Häuser, Straßen und andere wichtige Einrichtungen. Es ist wirklich ein furchtbares Unglück, dass da passiert ist.
    Ich hoffe, dass es keine weiteren Schäden mehr gibt, dass die Verpflegung und medizinische Hilfe
    gut organisiert ist und erfolgreich arbeiten kann.
    Wo und wie kann ich spenden, dass es auch sicher ankommt?

    VLG
    Ecki

  8. ivo

    Danke für deinen Bericht.

    Was ist die beste ‚Adresse‘ zum Spenden? Red Cross?

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