Erinnerungen an das Erdbeben 2015

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Es ist seltsam, was sich da manchmal im Kopf abspielt. Seit einigen Wochen ist das große Erdbeben aus dem Jahr 2015 wieder in meinem Gedächtnis präsent. Einfach so. Aus dem Nichts. Wie das Erdbeben selbst.

Aber es sind nicht die Erinnerungen an das unmittelbare Beben, die mein Gemüt ins Wanken bringen. Es ist auch kein posttraumatischer Stress, der mich nachts schweißüberströmt aus dem Schlaf reißt. Es sind einfach nur reflektierende Gedanken über mein Dasein in den Tagen nach dem verhängnisvollen Beben. Ich denke aktuell viel über mein damaliges Handeln und meine damalige Gefühlslage nach. Warum ausgerechnet jetzt, kann ich nicht erklären. Vielleicht aber auch nur deshalb, weil ich mich aktuell in dem selben Tunnel wie damals befinde, in dem ich einfach nur funktionierte – und das sogar ziemlich gut.

Menschen rannten aus ihren Häusern und versammelten sich auf einem großen freien Feld.
Unmittelbar nach dem Erdbeben am Waisenhaus (25.04.2015)

An das Erdbeben selbst erinnere ich mich immer noch sehr klar. So oft wie ich davon schon erzählt habe, haben sich die ersten Momente fest in mein Gedächtnis eingeprägt. Sofern ich mich daran erinnern möchte, sehe ich die Bilder klar vor meinem inneren Auge. Auch die unvorstellbare Stärke ist im Gedächtnis geblieben. Niemand kann vergessen, wie es ist, sich kaum auf den Beinen halten zu können. Aber diese Erinnerungen stören mich nicht. Sie stellen keinerlei Belastung dar. Das schreckliche Erdbeben ist eine Erfahrung, das ich erleben musste und hat mich sicherlich in vielerlei Dinge geprägt. Aber es ist definitiv keine Erfahrung, die mein Leben beeinträchtigt hat oder in mir nun ständig Ängste auslöst.

Ich frage mich aktuell, warum ich damals so reagiert habe, wie ich reagiert habe

Wie die meisten Nepalesen verbrachten auch wir die Nacht im Freien.
Wir verbrachten die ersten Nächte nach dem Beben im Freien.

Das Erdbeben musste ich nicht verarbeiten, weil es nichts zu verarbeiten gab. Noch vor Ort war ich immer „Herr der Lage“ gewesen, und blieb immer ruhig trotz der andauernden, heftigen Nachbeben. Ich hielt unsere Hostel-Gemeinschaft zusammen. Ich war nicht unter Schock gewesen und um ehrlich zu sein, erinnere ich mich auch nicht daran, große Angst gehabt zu haben. Genau das macht mir aktuell am meisten zu schaffen. Ich verstehe nicht, wie ich in einer solchen Situation so reagieren konnte. Das ist einfach nicht logisch. Habe ich nur so „funktioniert“, weil einer von uns so „funktionieren“ musste, oder habe ich nur so „funktioniert“, weil ich nicht anders konnte? Letzteres wäre schrecklich.

In meinem Kopf schwirren aktuell viele Gedanken umher. Ich versuche mein damaliges Handeln und meine damalige Gefühlslage zu verstehen. Warum fiel es mir so leicht, noch während des ersten heftigen Erdbebens zurück ins wankende Waisenhaus zu rennen? Wieso hatte ich keine Angst? Weshalb waren die Tage nach dem Erdbeben für mich nicht so belastend wie für die anderen im Haus. Selbst als im Februar 2016 die Erde erneut bebte, blieb ich vollkommen sachlich. Die einzige Belastung für mich war es zu jenem Zeitpunkt gewesen, dass andere Menschen (Familie und Freunde) sich ständig Sorgen um mich machten.

Es ist schwer zu erklären, warum mich das aktuell so beschäftigt. Dreieinhalb Jahre nach dem Erdbeben tauchen nun Fragen auf, für die ich mich in den vergangenen Jahren überhaupt nicht interessiert habe. Selbst während meiner nun sechs Nepal-Besuche nach der Naturkatastrophe spielten die Erinnerungen an das Beben eine weitestgehend untergeordnete Rolle. Das Alltagsleben in Nepal hat schon längst wieder zurück zur Normalität gefunden. Abgesehen von noch beschädigten Gebäuden merkt man nicht mehr viel von der zurückliegenden Katastrophe. Aber vielleicht sitzen die Narben bei uns allen tiefer als gedacht.


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Namasté! Schön, dass Du meinen Nepal Blog gefunden hast. Ich heiße Khai-Thai, ich bin in Deutschland geboren, meine Eltern stammen aus Vietnam, Frankfurt ist meine Heimat und Nepal mein Zuhause. Seit 2011 besuche ich das wundervolle Land für mehrere Monate im Jahr und engagiere mich für unsere Hilfsprojekte vor Ort. In diesem Nepal Blog schreibe ich über meine Eindrücke, Erfahrungen, Anekdoten und Projekte - Einfach mein-Nepal eben ;)

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